22. Juli, 2025Export-See, Import-See

In den vergangenen Monaten geriet die maritime Logistik in Europa zunehmend unter Druck. In mehreren großen europäischen Seehäfen kommt es zu weitreichender und anhaltender Überlastung sowie zu erheblichen betrieblichen Störungen im Containerumschlag – und das trotz des Fehlens größerer globaler Krisen.

Diese Entwicklung wirft ernsthafte Fragen hinsichtlich der Widerstandsfähigkeit der maritimen Lieferketten auf und legt strukturelle Schwächen offen, die dringend angegangen werden müssen.

Der europäische Spediteursverband CLECAT hat dazu eine lesenswerte umfassende Analyse erstellt, die wir Ihnen hiermit gern zur Verfügung stellen:

 

Überlastung und strukturelle Schwächen bedrohen die Stabilität der europäischen Lieferketten:

  • Besonders problematisch ist der geografische Umfang der Überlastung, der kaum Spielraum für Ausweichlösungen lässt. Der gesamte Hafenbereich in der Nordrange ist betroffen, wodurch terminalseitige Ausweichstrategien kaum praktikabel erscheinen. Zwar können Binnencontainerdepots oder Off-Dock-Anlagen kurzfristig entlastend wirken, doch bleiben die grundlegenden Ineffizienzen bestehen. Ein belastbarer „Plan B“ ist derzeit nicht erkennbar – die strukturelle Fragilität des Systems wird dadurch besonders deutlich und gibt Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Fähigkeit, künftige Störungen zu bewältigen.

 

  • Zusätzlich wird die Lage durch volatile Schiffsankünfte verschärft. Spediteure und Zollagenten sehen sich gezwungen, Zollanmeldungen mehrfach zu stornieren und neu einzureichen – ein zeit- und kostenintensiver Prozess, der vielfach auf den Dienstleister zurückfällt. Die kurzfristigen Änderungen führen zudem zu Störungen in der Organisation der nachgelagerten Transportkette, insbesondere bei der Bahn oder der Binnenschifffahrt, deren Flexibilität deutlich eingeschränkter ist als die des Straßentransports. In mehreren nordeuropäischen Ländern mussten bereits ineffizientere Transportwege oder -träger genutzt werden, was zu weiteren Kosten und Verzögerungen führt. Diese Auswirkungen belasten zunehmend auch die kommerziellen Beziehungen innerhalb der gesamten Lieferkette.

 

  • Die aktuelle Krise ist Ausdruck einer über Jahre gewachsenen strukturellen Schieflage: Buchungsprozesse sind immer unzuverlässiger geworden. Spediteure berichten von geänderten Cut-off-Zeiten selbst nach bestätigter Buchung – vor allem aufgrund nicht vorhersehbarer Schiffsankünfte. Das beeinträchtigt die gesamte Transportplanung. Exportcontainer werden von Lkw geladen, können jedoch wegen kurzfristiger Terminalanpassungen nicht wie geplant angeliefert werden, mit der Folge erheblicher Zusatzkosten – einschließlich Detention-Gebühren – für die Verlader.

 

  • Gleichzeitig hat sich der Paradigmenwechsel von „Just-in-time“ zu „Just-in-case“ in der europäischen Exportlogistik manifestiert. Anforderungen wie Verified Gross Mass (VGM), Zollanmeldung und physische Anlieferung haben unterschiedliche Cut-off-Zeiten, die häufig fünf oder mehr Tage vor Abfahrt des Schiffs liegen. Wird das enge Zeitfenster zwischen Ende der „detention-free“-Phase und Cut-off verpasst, drohen Zusatzkosten oder der Verlust des Laderaums.

 

  • Ein besonders paradoxer Aspekt der Krise: Trotz zunehmender Digitalisierung und Automatisierung nimmt die operative Effizienz nicht zu – im Gegenteil. Terminalbetreiber sehen sich gezwungen, Container früher anzunehmen, um rechtzeitig verladen zu können, stoßen dabei aber auf physische Kapazitätsgrenzen, insbesondere wegen gestiegener Verweildauer der Container.

 

  • Europäische Exportvolumina – insbesondere im Asien- und Transatlantikverkehr – leiden bereits unter dieser Entwicklung. In Verbindung mit internationalen Handelskonflikten gefährdet die aktuelle Situation die Wettbewerbsfähigkeit Europas insgesamt. Für bestimmte Wirtschaftssektoren drohen dramatische Auswirkungen, sollte sich keine Entspannung abzeichnen.

 

  • Die heutige Krise ist auch das Resultat tiefgreifender Marktveränderungen der letzten Dekade. Ein vormals vielfältiger und wettbewerbsintensiver Carrier-Markt mit über 20 großen Reedereien wurde durch die Bildung dreier großer Allianzen stark konzentriert. Diese Marktkonzentration schränkt die Handlungsfähigkeit von Verladern und Spediteuren erheblich ein – insbesondere bei Störungen.

 

  • Parallel dazu hat die stetige Zunahme der Containerschiffsgrößen den Druck auf die Hafeninfrastruktur drastisch erhöht. Ultra-Large-Container-Vessels (ULCV) mit über 24.000 TEU dominieren zentrale Liniendienste. Ihre massive Volumenabfertigung binnen kurzer Zeit überfordert das Hinterland – mit Staus, Überlastung der Terminals, Engpässen bei Lagerkapazitäten und häufigen Umplanungen bei Vortransporten. Selbst kleinere operative Störungen können dadurch zu systemischen Dominoeffekten werden.

 

  • Verlader und Spediteuren bleibt immer weniger Zeit zur Erfüllung der Vorgaben – bei stetig wachsendem Druck. Zudem verlagert sich die kommerzielle Verantwortung zunehmend auf die Verlader und Spediteure. Verkürzte D&D-Fristen (Demurrage & Detention) sowie vorverlegte Dokumentations und Lieferfristen schaffen ein hohes Maß an Druck – bei zugleich begrenzter Flexibilität. Trotz dieser Entwicklungen gibt es kaum Anreize für Reedereien, in Transparenz oder bessere Planbarkeit zu investieren, zumal Service Levels selten an verbindliche Leistungskennzahlen geknüpft sind.

 

  • Ein weiteres Problemfeld ist der mangelnde Echtzeitaustausch zwischen Reedereien, Terminals und Verladern. Eine ehemals reaktionsfähige Lieferkette ist heute durch starre Zeitvorgaben, lange Vorlaufzeiten und hohe Ineffizienzen gekennzeichnet. Dabei könnte eine verbesserte Supply-Chain-Transparenz nicht nur bessere Vertragsbedingungen ermöglichen, sondern auch langfristige Planungssicherheit schaffen – insbesondere im Hinblick auf nachhaltige Verkehrsträger wie Schiene und Wasserstraße.

 

  • In diesem Kontext kommt Spediteuren und Logistikdienstleistern eine zentrale Koordinationsrolle zu. Ihre Fähigkeit, effizient zu planen und schnell zu reagieren, hängt von verlässlicher, zeitnaher und transparenter Information ab.

 

Vertrauen schaffen durch Transparenz und Verantwortlichkeit in der maritimen Logistik:

  • CLECAT warnt: Die derzeitige Dysfunktion tritt ohne externe Schocks auf. Was geschieht bei einer neuen geopolitischen Eskalation oder einer Nachfrageexplosion wie während der Pandemie ? Die erwartete Wiederöffnung des Suezkanals könnte eine Vielzahl von Schiffen in bereits überlastete Nordseehäfen bringen. Arbeitskonflikte an US-Häfen oder neue globale Handelsmaßnahmen könnten die Instabilität weiter verschärfen. Diese Risiken dürfen nicht unterschätzt werden.

 

  • CLECAT unterstützt daher ausdrücklich die Forderung nach Leistungsbenchmarking und Transparenz, wie sie etwa vom International Transport Forum (ITF) vorgeschlagen wurden. Einheitliche Leistungsindikatoren und Definitionen für die maritime Lieferkette könnten helfen, Schwachstellen sichtbar zu machen und gemeinsame Verantwortung zu schaffen. Eine entsprechende Initiative wurde bereits mit dem ITF begonnen, kam jedoch mangels Beteiligung zentraler Marktakteure ins Stocken. Die aktuelle Lage macht deutlich, wie dringend eine Wiederaufnahme dieser Arbeiten ist.

 

  • CLECAT ist zudem davon überzeugt, dass es an der Zeit ist, die Diskussion über Leistungsfähigkeit und Governance der maritimen Lieferkette wieder aufzunehmen. Ein zentrales Element dabei ist die faire Ausgestaltung von Demurrage- und Detention-Gebühren – ein Thema., das CLECAT bereits seit Langem adressiert. Eine erneute Bewertung dieser Praxis ist erforderlich, um den Druck auf die landseitige Infrastruktur zu mindern.

 

  • Letztlich erfordert die Wiederherstellung der Resilienz im europäischen Hafensystem ein hohes Maß an Koordination und Dialog zwischen allen Beteiligten. Transparenz bei Daten, fairere Vertragsbedingungen, eine stärkere Diversifizierung der Hafenanläufe sowie faire Wettbewerbsbedingungen für unabhängige Dienstleister sind entscheidende Schritte. Ohne solche strukturellen Reformen bleibt der Sektor anfällig – und unzureichend vorbereitet auf die nächste Krise.